Das Segelboot fährt langsam aber stetig den breiten Nil entlang. Der leichte Nordwind umweht die weißen Segel und das fast spiegelglatte Wasser reflektiert die untergehende Sonne. Im Gegenlicht erscheinen die historischen Monumente am Westufer wie Silhouetten einer anderen Zeit.
Was wie ein Traum anmutet, ist für uns Wirklichkeit geworden. Wir sitzen an Deck einer Dahabeya, einem ägyptischen Zweimaster. Am Mittag hatte unser Boot die Segel gehisst und Kurs gen Süden aufgenommen, von Esna soll es nach Assuan gehen.
Es ist, als wären wir schon ewig hier, dieser Moment scheint zeitlos und ohne Ende zu sein.
Der Nil, Fluss der Ewigkeit, diesen Beinamen empfinden wir bereits nach wenigen Stunden als passender, als wir uns heute Morgen im Hafen hätten ausmalen können.
In Esna sahen wir sie in der Stille des anbrechenden Tages liegen, die „Princess Donia“, unser Zuhause für die nächsten Tage. Auf diesen vornehmen Holzplanken sollte es in den nächsten Tagen mehr als 200 Kilometer den Nil aufwärts gehen.
Dahabeya, „die Goldene“ – als Zweitdomizil der ägyptischen guten Gesellschaft verzierte diese die einzigartigen Boote gern mit Gold, um ihrem Reichtum Ausdruck zu verleihen.
Nun dürfen wir uns selbst herrschaftlich fühlen auf einer dieser ehemaligen Prunk-Boote.
„Ahlan wa Sahlan!“
Unser Salon Manager Adhan begrüßt uns mit aufmerksamer Herzlichkeit und führt uns zu unserer Kabine. Das Bett ist liebevoll dekoriert, der Raum schlicht und einladend in orientalischem Stil gestaltet.
Mit uns sind nur weitere neun Menschen auf der Dahabeya, drei von ihnen unsere Crew-Mitglieder. Nilkreuzfahrten sind für die ägyptische Tourismus-Industrie zu einem lukrativen Geschäft geworden, doch wir haben das Gefühl, mit der Crew auf einer exklusiven, fast privaten Fahrt zu sein. Gemächlich gleitet die „Donia“ mit uns dahin, einer spannenden wie entspannten Zeit entgegen. Gegen Abend erreichen wir die Insel Edfu. Hier gehen wir vor Anker und lassen den Tag bei einem Glas süßsaurem Hibiskustee, dem Karkadeh, ausklingen.
Während unserer Nilfahrt passieren wir entlang des grünen Gürtels am Westufer des Nils immer wieder kleine Dörfer und Menschen, die ihre fruchtbaren Felder bestellen. Einige Esel stehen im Schilf der Flussoase und trinken. Neben der Landwirtschaft spielt der Fischfang eine große Rolle. Leben ist einzig durch den Nil möglich, ohne den das Land auch hier nur steinerne Wüste wäre. Die Menschen nennen ihn „Ader des Lebens“ – er schenkt ihnen Wasser, Nahrung und eine Zukunft. Die Pharaonen benannten sogar einen eigenen Nilgott: Hapi, den Gott der Fruchtbarkeit.
Unsere Dahabeya erscheint uns wie eine eigene schwimmende Welt, eine kleine Insel, die sich angepasst an den Rhythmus des Lebens auf dem Fluss gemächlich fortbewegt. Nur durch den Gesang eines Vogels oder die sanften Bewegungen des Segels im Wind wird die Stille hin und wieder unterbrochen. Die friedvolle Atmosphäre auf dem Wasser lässt uns sofort in einen wohligen Zustand zeitloser Entspannung kommen. Am Schnittpunkt zwischen Himmel und Erde, der Nilgott ist uns gnädig, gleiten wir auf dem legendären Fluss dahin.
Manchmal lassen wir uns unserer Beobachterperspektive entreißen und gehen von Bord. Aufgrund der Wendigkeit des Bootes ist es möglich, verstecktere Orte besuchen, wie ein kleines vom Tourismus unberührtes nubisches Dorf. Die „Donia“ bringt uns auch zu den wenig besuchten Sandsteinbrüchen nahe der Nilenge von Silsila, direkt hinter der Felsenkapelle des Pharao Horemheb.
Das Boot ankert direkt vor dem Felsen, in den der Tempel geschlagen wurde. Zu Fuß gehen wir, vorbei an dem Nilgott geweihten Felsstelen, zu beiden Felsen des „Kettenbergs“ – am Dschabal as-Silsila treten die Felsen der Ost- und der Westwüste so nah aneinander heran, dass das Niltal hier besonders eng ist.
So grandios die Ruinen sind, ich werde das Gefühl nicht los, dass die wahre Faszination unserer Reise im zeitlosen Dahingleiten unserer kleinen Schiffsoase über den ruhigen Nil liegt. Ruhe. Langsamkeit. Vernachlässigte Werte in unserem Leben außerhalb dieses Traums auf dem Nil.
Wir haben Zeit. Wir nehmen uns die Zeit.
Einen Großteil davon haben wir bisher in einem Zustand angenehmer Besonnenheit verbracht, tagträumend unter den großen Sonnensegeln an Deck, lesend über die historischen Orte, die zeitgleich an uns vorüberziehen. Die Ausflüge an Land erscheinen fast wie Unterbrechungen unseres vollkommenen Zeitvertreibs des Nichtstuns und seichten Dahingleitens.
Ich muss an Gustave Flaubert denken, dessen Langeweile und Überdruss auch vor ägyptischen Tempeln nicht Halt machte. Diese Art zu reisen erscheint wie erschaffen für den Schriftsteller, über den Maxime du Camp auf ihrer gemeinsamen Ägyptenreise um 1850 einmal gesagt hatte: „Wenn er gekonnt hätte, so wäre er am liebsten auf einem Sofa liegend gereist, ohne sich zu rühren, hätte die Landschaften, die Ruinen und Städte an sich vorüberziehen sehen wie die Leinwand eines Panoramas.“ Von seinem Reisebegleiter als regungslose Stumpfheit kritisiert, war es vielleicht der Müßiggang, den Flaubert seinerzeit, auch während einer Dampferfahrt auf dem Nil, entdeckt hatte.
Und so haben wir unsere Tage ganz nach den drei ägyptischen Grundsätzen Insha’allah („So Gott will“), bukra („morgen“) und malesh („Das macht nichts“) verbracht. An diese Art der Leichtigkeit und entspannte Lebensart könnten wir uns gewöhnen.
Den letzten Abend verbringen wir an Deck bei traditioneller Musik und einem guten Glas Wein. Nach einem wunderbaren, frisch vom Chef zubereiteten, Essen kommen wir mit Rais Hassan ins Gespräch. Er erzählt uns von einem magischen Moment, den er immer wieder zu erinnern versuche, von einem Sonnenaufgang beim Berg Silsila. Sehr früh am Morgen, wenn der Nil noch ruhig sei, dann spiegele sich die Sonne im klaren Wasser.
Beschwingt vom wunderbaren Abendessen und dem geselligen Abend gehen wir in unsere Kabine und träumen davon, morgen in aller Frühe ein ähnliches Erlebnis zu haben.
Dabei ist das Aufwachen auf der Dahabeya immer eine fantastische Erfahrung, jedes Mal an einem anderen Ort – mit neuer Perspektive auf das Wasser und die Nillandschaft – täglich erscheint uns die Welt neu.
An diesem Morgen erwartet uns noch einmal ein liebevoll zubereitetes Frühstück an Deck. Es gibt das ägyptische Nationalgericht Foul, Bohnenbrei mit Zwiebeln. Dazu das traditionelle Sonnenbrot Aish Shamsi, das bis zu zwölf Stunden in der Sonne verweilte, bevor es gebacken wurde. Auch an Marmeladenbrot und Käse wurde gedacht, dazu ein richtig guter Kaffee, mittelsüß, mazboot, haben wir gewünscht, mit etwas Kardamom. In den Tagen auf der „Donia“ sind wir nicht nur ganz in Ägypten angekommen, sondern auch bei uns. Eine erfüllende und zugleich entspannende Zeit liegt hinter uns. Es fällt sehr schwer, unser neues Zuhause verlassen zu müssen. Doch wir trösten uns: „Donia“, das bedeutet „Welt“ und ist nicht nur der Name der Tochter des Kapitäns, für den sie die Welt bedeutet. Am Ende unserer Reise haben wir tatsächlich das Gefühl, die ganze Welt erfahren zu haben
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