Orientaltours Reiseblog: Schnüre als Visitenkarte und andere Traditionen in Kyoto (Japan)

Ein Bericht von Isa und Natascha von WESTWARDS (www.westwards.de).


Wir sind heute in Japans alter Kaiserstadt Kyoto, im Stadtteil Higashiyama. Hier finden sich winzige Ramen-Schuppen, alteingesessene Cafés, in denen ältere Damen typisch japanische Süßigkeiten bestellen, und zahlreiche Traditionsgeschäfte wie das Schnurgeschäft von Herrn Wada.

Schnüre vom Mini-Webstuhl

Erwartungsgemäß gibt es in einem Schnurgeschäft Schnüre zu kaufen – doch Herr Wada verkauft die Schnüre nicht nur, sondern er stellt sie auch selbst her, in einem kleinen Zimmer hinter dem Ladenraum. Dort sitzt er an einem kindergroßen Webstuhl – nur etwa 70 cm breit! Herr Wada richtet etwas an den Kettfäden und schiebt das Schiffchen durch, zack. Und wieder zurück, zack.

Zack-zack, zack-zack, klackert es gleichmäßig. Reihe um Reihe wird das dünne Band länger. Die Touristeninformation von Kyoto vermittelt Japanreisenden die Möglichkeit, in die jahrhundertealten traditionellen Handwerkstechniken hineinzuschnuppern.

Taiken: Erlebnistourismus auf Japanisch!

Taiken heißt das auf Japanisch – übersetzt in etwa „mit dem Körper ausprobieren“ – ein beliebtes Konzept für Japaner, die gerade auch im eigenen Land gern reisen. Alles Mögliche kann man so einmal erleben, von traditionellen Sportarten wie Karate und Kendo über Töpfern und Stoffe färben bis zum Glasblasen. Oder eben auch ein Traditionshandwerk wie das Weben von Schnüren, den sogenannten Sanada-himo. Das wollen wir heute ausprobieren.

Dafür sind wir in die Werkstatt von Herrn Wada gekommen. Sanada-himo, das sind die „Schnüre des Kriegers Sanada“. In den grausigen Bürgerkriegen des 16. Jahrhunderts hatte dieser Samurai sich besonders dicht gewebte Schnüre um die Arme gebunden, heißt es, die erfolgreich die Schwerthiebe seiner Gegner abhielten. Und als die Bürgerkriege dann endlich vorbei waren, schätzte man die famosen stabilen Schnüre weiterhin als Prestigeobjekt.

Kultur und Tradition in der alten Kaiserstadt Kyoto

In der jahrhundertelangen Friedenszeit ab 1600 blühte in ganz Japan das Handwerk auf und die Wirtschaft boomte. Vor allem die wohlhabenderen Städter konnten und wollten sich etwas leisten. Und in Kyoto konnte man auf eine jahrhundertealte Kultur und Handwerkstradition zurückblicken. Bunte Seiden- und Brokatstoffe? Schlichte edle Keramik? Fast abstrakt wirkende Blumengestecke? Schnitzereien an den Holzgebäuden der zahlreichen Tempel und Schreine? Für all das gab es Vorbilder aus 800 Jahren Geschichte. Schließlich war Kyoto bereits 794 explizit als kaiserliche Hauptstadt gegründet worden. Und seitdem lebten die Kaiserfamilie und der Adel hier in größtem Prunk.

Auch die berühmte japanische Teezeremonie gibt es schon seit Jahrhunderten. Der beste Grüntee in Japan wird in Uji, nur 15 km von Kyoto entfernt, angebaut. In der japanischen Teezeremonie wird staubfein gemahlener Grüntee – Matcha – mit etwas heißem Wasser zu einem schaumigen spinatgrünen Getränk aufgeschlagen, das mit unserer Vorstellung von Tee wenig gemeinsam hat – außer dass es wach macht. Sehr wach, denn Grüntee enthält mehr Koffein als Espresso.

Altes Zeremoniell und moderner Geschmack: Matcha und die Teezeremonie

Die Zubereitung und das Trinken des Matcha-Grüntees sind extrem ritualisiert. Für jeden Handgriff gelten genaue Regeln: der Tee wird mit speziellen Bambuslöffeln der Teedose entnommen, mit einem Bambusbesen aufgeschlagen und aus einer jahreszeitlich passenden Schale in kleinen Schlucken getrunken. Diese Tradition wird von mehreren „Tee-Schulen“ seit dem 16. Jahrhundert unverändert weitergegeben. Und alle diese unterschiedlichen Tee-Schulen gehen auf den Teemeister Sen no Rikyu aus Kyoto zurück. Kein Wunder also, dass Kyoto noch heute ein Zentrum der Teezeremonie ist.

Doch auch auf einer Japanreise lässt sich in Kyoto der grüne Matcha-Tee ganz ohne Ritual oder auch bei einem „Tee-Taiken“ mit einer vereinfachten Teezeremonie erleben.

Nicht nur für die Teezeremonie wird der fein gemahlene Matcha-Tee benutzt, sondern auch für eine Fülle an Süßigkeiten mit „Matcha“-Geschmack. Es gibt kaum eine bessere Art, sich vom Kyoto-Besichtigungsprogramm zu erholen, als bei einem Matcha-Tiramisu oder einem Matcha-Eisbecher mit süßem Bohnenmus.

Traditionen von Adel, Kriegern und reichen Bürgern

Und müde wird man garantiert bei einem Besuch in Kyoto – über 1000 Tempel und Schreine soll es in der alten Kaiserstadt geben. Gleich in der Nachbarschaft des Schnurgeschäfts von Herrn Wada befindet sich z. B. der Kiyomizu-Tempel, der Tempel des Reinen Wassers. Mit seiner dramatischen hohen Holzterrasse ist er einer der wichtigsten Touristenmagneten der Stadt, und er gehört zum UNESCO-Weltkulturerbe. Das umfasst insgesamt 18 Sehenswürdigkeiten. Nicht wenige dieser Top-Attraktionen stammen aus der großen Zeit der Samurai, nämlich den Bürgerkriegen des 15. und 16. Jahrhunderts. So war der „Goldene Pavillon“ Kinkakuji ursprünglich die Residenz eines Kriegerfürsten (Shôgun). Einige Jahrhunderte nach ihrer Gründung wurde die Kaiserstadt Kyoto nämlich de facto nicht vom Kaiser, sondern von Kriegern regiert. Auch der wohl berühmteste Steingarten der Welt, der Garten des Zen-Tempels Ryoanji, stammt aus dieser Zeit.

Etliche Traditionstechniken – von der Teezeremonie bis zur Textilkunst – gelangten unter der Herrschaft der Samurai zur höchsten Blüte. Die hochspezialisierten Handwerker in Kyoto, die zuvor für den Hochadel und den Kaiserhof gearbeitet hatten, konnten ihre Traditionen unter den Samurai-Herrschern nämlich noch weiter verfeinern. Eigentlich hätten die kriegerischen Samurai in der langen Friedenszeit keine Rüstungen und Schwerter mehr gebraucht. Aber man kann nie wissen – zum einen blieb der Militärapparat schlagkräftig, falls es doch einmal kriegerische Auseinandersetzungen gäbe. Und zum anderen hatten die Krieger nun Muße, sich in besonders prunkvollen Rüstungen zu präsentieren. Die Helme und Rüstungen aus zusammengefügten schwarzgelackten Holzplättchen wurden immer aufwändiger, und natürlich durften auch die exquisiten farbigen Schnüre dafür, die Sanada-himo, nicht fehlen, mit denen einzelne Teile der Rüstung verbunden oder ornamental umwickelt wurden.

Dem aufstrebenden wohlhabenden Bürgertum der Friedenszeit war es verboten, Schwerter und Samurai-Rüstungen zu besitzen. Für sie begannen die Schwertschmiede, überaus aufwändige Haushaltsmesser herzustellen. Und die speziellen super-reißfesten Schnüre wurden benutzt, um etwa die Holzkistchen für die Utensilien der Teezeremonie zusammenzubinden.

Selbstversuch am Webstuhl in der alten Kaiserstadt Kyoto

Nun dürfen auch wir an dem schmalen Schnur-Webstuhl von Herrn Wada Platz nehmen und uns selbst an den stabilen Sanada-Schnüren versuchen. Gar nicht so einfach, stellen wir fest. Der Webstuhl ist zwar klein und schmal, aber darin ist ein wahres Dickicht an Kettfäden gespannt: Mit einer Runde des Schussfadens webt man tatsächlich einen Kreis bzw. einen engen Schlauch!

Die feste und komplizierte Struktur des Webschlauchs, erklärt Herr Wada, macht die Schnüre extrem reiß- und schnittfest. Mit einem einfachen Schwerthieb lassen sie sich nicht durchtrennen. Außerdem liegen von den vielen Kettfäden einige auch fast vollständig im Inneren des Schlauchs. Wenn man dort eine andere Farbe verwendet, können das nur Fachleute mit geübtem Auge erkennen, und es lässt sich kaum nachahmen. So entwickelten sich einige der Schnüre zur einer Art Familiensiegel. In Kyoto ließen sich die wichtigsten Teemeister-Familien eigene Schnüre mit einem speziellen Muster weben.

Heute kann jeder die farbenfrohen Schnüre von Herrn Wada kaufen. Sie machen sich z. B. gut als Brillenband, Armband oder als Umhängeschnur für das Handy. Oder auch ausgefallener als Lenkerband am Rennrad.

Unsere paar Zentimeter Schnur sehen allerdings recht wobblig aus – sie sind zu locker gewebt. Die paar ungleichmäßigen Reihen, sehen wir später, löst Herr Wada dezent wieder auf, bevor er weitermacht.

Infos: Alte Traditionen in Kyoto entdecken

Taiken – Traditionen erleben

Das städtische Tourismusbüro von Kyoto betreibt eine Vermittlungsplattform, die auch für ausländische Touristen Workshops und Begegnungen mit Traditionshandwerker*innen ermöglicht.

https://www.kyotoartisans.jp/en

Schnüre weben

Sanadahimo Enami, Shôninchô 430, Toiyamachidôri/Gojô, Tel. 075-531-5429, http://www13.plala.or.jp/enami/ (Webseite nur auf Japanisch). Do-Di 10-17 Uhr

Teezeremonie erleben

Im Fukujuen-Teeladen kann man auch als Kleingruppe oder Einzelperson eine kleine Teezeremonie buchen. Der Tee wird vor den Besuchern zubereitet, mit Erklärung zum Ablauf der Zeremonie.

Fukujuen, Shijo-dori/Tominokoji, Shimogyo-ku, Tel. 050-3152-2904, https://www.fukujuen-kyotohonten.com

Viele einfache Cafés in Tempeln (z.B. im Kinkakuji/ Goldenen Pavillon) servieren aufgeschäumten Grüntee – Matcha – ohne weitere Erklärung.

Kimono-Stoffe

Das Nishijin-Textilzentrum hat eine Ausstellung zu Kimonostoffen. Dort werden auch regelmäßig kleine Shows gezeigt, und man kann einmal einen richtigen Kimono anziehen.

Nishijin Textile Center, Imadegawa / Nishigawa, Kamikyo-ku, Tel. 075-451-9231, https://nishijin.or.jp/eng/nishijin_textile_center1. Tgl. von 10-16 Uhr.

Copyright: WESTWARDS

– Unabhängiger Reisejournalismus vor Ort –

Natascha Thoma und Isa Ducke

Blog (auf Englisch): www.westwards.de

Auf Facebook: Westwards

Japan_Weben_2000px_01

Zu unseren Orientaltours Japan-Reisen geht es hier:
https://orientaltours.de/asien/japan/

Kontakt

Kontakt zu Orientaltours: Schreiben Sie uns jetzt über unser Online-Formular und wir werden Sie gerne individuell und persönlich beraten – oder hinterlassen Sie uns Ihre Telefonnummer und wir rufen Sie gerne zurück.

Unsere Bürozeiten:

Von Mo. bis Fr. sind wir von 10.00 Uhr bis 17.00 Uhr gerne persönlich für Sie da.

    Vor- und Nachname*

    E-Mail-Adresse*

    Titel der angefragten Reise

    Datum der angefragten Reise

    Nachricht*





    * Pflichtfelder